Herr Schoeller, warum war die Münchner Erklärung 2025 notwendig?
Europa steht offensichtlich an einem Wendepunkt und als Unternehmer sehen wir dabei eine große Chance. Europa respektiert Grenzen und verhindert Machtmissbrauch als Basis für inneren und äußeren Frieden. Diese beiden Kernwerte haben nicht nur im Osten, sondern auch westlich von uns nicht mehr den gleichen Stellenwert. Deshalb ist ein technologisches und verteidigungsmäßig unabhängiges Europa wichtiger denn je. Big Tech Firmen, deren globale Marktmacht Fragen des fairen Wettbewerbs aufwirft erscheinen plötzlich, anders als früher, im engen Schulterschluss mit der neuen US-Regierung. Da müssen bei uns die Alarmglocken klingen.
Wenn wir unseren Wohlstand, unsere Sicherheit und unsere strategische Unabhängigkeit bewahren wollen, müssen wir jetzt handeln. Die Münchner Erklärung 2025 liefert konkrete Maßnahmen zur Stärkung der Verteidigungsfähigkeit, Förderung von Innovationen und Sicherstellung nachhaltiger Finanzierungen für unsere Sicherheit und wirtschaftliche Resilienz, da gehört auch der Aufbau eines europäischen, nicht fremd gesteuerten Big Tech Sektors dazu. Die aktuelle Marktlage erinnert an die Kartellfragen bei Standard Oil und Bell Telephone, die den Staat zum Handeln gezwungen haben.
Die Verteidigungsinvestitionen in dual use technology, die jetzt in Europa anstehen, können den Pull-Faktor bewirken, die europäische Eigenständigkeit in zweifacher Hinsicht herzustellen, sodass Europa ursprünglich eine Wirtschaftsunion zur dritten Weltmacht aufsteigen kann und muss.
Ein zentrales Anliegen der Erklärung ist eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben. Warum ist das notwendig?
Die Vereinigten Staaten investieren 900 Milliarden USD pro Jahr und werden offensichtlich von Herrn Putin ernster genommen als wir. Außerdem investieren alleine die vier größten US Tech Unternehmen dieses Jahr so viel in AI, wie ganz Europa momentan in die Verteidigung investiert. Wenn man AI als Turbo verstehen kann, dann fährt Europa noch mit einem Eselkarren.
Andererseits investiert Russland 130 Milliarden pro Jahr mit einer größeren Wirksamkeit als unsere 340 (Stand 2024). Deswegen ist es vernünftig, was auch viele Politiker fordern, dass jetzt von aktuell 2 % auf mindestens 3-4 % des BIP in die Verteidigung fließen, wobei 1-2 % speziell für Infrastrukturmaßnahmen vorgesehen werden müssen. Eine zusätzliche Investition von 1,5 % des BIP entspricht 250 Milliarden Euro jährlich – ein notwendiger Betrag, um unsere Sicherheit zu gewährleisten und technologisch aufzuholen. Gleichzeitig muss die militärische Beschaffung besser koordiniert und teilweise zentralisiert werden, um Kosten zu senken und Effizienz zu steigern. Hier kann auch mit Public Private Partnerships sehr viel mehr privates Geld mobilisiert werden, wenn z. B. militärisch erforderliche Satelliten, Raketen, Roboter, Drohnen, Datenzentren vom Privatsektor gebaut, unterhalten und finanziert werden und an den Staat exklusiv langfristig vermietet werden. So können staatlich aufgenommene Mittel ein Vielfaches an privatem Kapital mobilisieren. Dazu gehören auch die Savings- und Investment-Union sowie die kapitalanlagebasierte Altersversorgung.
Die Erklärung schlägt auch die Gründung eines europäischen Pendants zur US-amerikanischen DARPA vor. Was ist die Idee dahinter?
Der Staat hat manchmal Mühe, die Mittel effizient einzusetzen, wie man in Berlin und Stuttgart bemerkt hat, und wie es auch am allgemein bedauerten Zustand der Ausrüstung der Bundeswehr zu sehen ist. Deswegen empfehlt die Münchner Deklaration etwas, was in Amerika schon lange gang und gäbe ist, und mit zum Aufbau von Silicon Valley geführt hat.
Europa braucht also auch eine strategische Forschungsagentur, die technologische Prioritäten für die kommenden Jahrzehnte definiert. Dabei geht es um unabhängige Entwicklungen in Künstlicher Intelligenz, Cybersicherheit, Raumfahrt, Raketenabwehrschirm (Sky Shield) Smart Drones, Drohnenabwehrsysteme und Robotik – alles Schlüsseltechnologien, die sowohl für die Verteidigung als auch für zivile Anwendungen von großer Bedeutung sind. Die USA haben mit DARPA eine Institution geschaffen, die technologische Durchbrüche ermöglicht. Europa muss hier nachziehen, um wettbewerbsfähig zu bleiben und nicht von anderen abhängig zu sein.
Wie hängen Verteidigungsausgaben mit wirtschaftlichem Wachstum zusammen?
Diese Investitionen werden über Wirtschaftswachstum und zusätzliche Steuereinnahmen sich sehr wertschöpfend auf die gesamte Volkswirtschaft auswirken. Der Mindestmultiplikator ist 1x, sodass mit einer kleinen Zeitverzögerung 1,5 % auf das BIP staatlich finanzierte Investition zu 1,5 % Wachstum führen, und damit einen zusätzlichen Verschuldungsgrad auf 0,3 % vom gewachsenen BIP begrenzt. Wenn man dies über 10 Jahre so fortsetzt, würde der Verschuldungsgrad maximal um 2 bis 3 % wachsen und wäre dann immer noch ungefähr an der Hälfte des dann zu erwartenden amerikanischen Verschuldungsgrades. Europa wäre aber dann eines der drei globalen Supermächte, unabhängig und wäre weiterhin in der Lage, Friede in Freiheit zu garantieren.
Investitionen in die Verteidigung sind also nicht nur eine Frage der Sicherheit, sondern auch ein enormer wirtschaftlicher Impuls. Viele Technologien, die im militärischen Bereich entwickelt werden, haben eine duale Nutzung und fließen in zivile Industrien ein. Die europäische Automobilindustrie kann beispielsweise mit ihrem Know-how in Massenproduktion und Automatisierung zur Verteidigungsindustrie beitragen. Man könnte z. B. darüber nachdenken, ob unausgelastete Montagelinien in der Automobilindustrie auf die Montage von Drohnen, zivile und militärische, umgerüstet werden können. Darüber hinaus brauchen wir eine umfassende Deregulierung, um Unternehmertum und private Investitionen zu erleichtern.
Auch der internationale Handel ist ein Thema der Erklärung. Welche Maßnahmen werden vorgeschlagen?
Europa muss seine Handelsbeziehungen ausweiten, insbesondere mit dem Globalen Süden, und dabei den Euro als Handelswährung stärken. Dadurch reduzieren wir unsere Abhängigkeit von fremden Finanzsystemen und gewinnen an wirtschaftlicher Souveränität. Russland und China über ihre BRIGS-Kooperationen schalten sich weltweit großzügig im globalen Süden ein und sichern sich dabei auch vorrangig Ressourcen und Handelsbeziehungen. Außerdem hat Europa ein viel weiter entwickeltes Verständnis und Know-How über die soziale Marktwirtschaft und kann dabei auch Fluchtursachen bekämpfen, was die Russen nicht tun, denn sie sehen momentan einen strategischen Vorteil darin, Flüchtlingsströme zu uns zu leiten anstatt das Leben vor Ort zu verbessern. Der globale Süden ist offen für uns und freut sich über weitere Partner. Afrika z.B. müsste verdreissigfachen, um auf unseren Lebensstandard zu kommen, da gibt es also genug zu tun und genügend Wachstumspotential.
Parallel dazu ist es entscheidend, massiv in Infrastruktur und Energiespeicherung zu investieren, um die digitale Wirtschaft und insbesondere den Betrieb von KI-Rechenzentren abzusichern.
Wie sollen diese ambitionierten Pläne finanziert werden?
Wir setzen auf eine temporäre Erhöhung der öffentlichen Defizite, um essenzielle Infrastruktur- und Verteidigungsprojekte zu finanzieren. Diese Investitionen werden das Wachstum ankurbeln und so mittelfristig die Schuldenquote senken.
Die EU verfügt über einen enormen Überschuss an Ersparnissen und über einen Zahlungsbilanzüberschuss, d.h. unsere Ersparnisse werden zum Teil außerhalb Europas angelegt. In einer Phase wachsenden Protektionismus können wir auch von Rückgängen in der Exportwirtschaft ausgehen, sodass eine verstärkte Investition in Infrastruktur im europäischen Inland, hier ist vor allem Dual Use Technology gemeint, diese Stillstandskosten, die uns ansonsten drohen, durch produktiven Arbeitseinsatz zu ersetzen. D.h. keine 4-Tage Woche und kein Homeoffice. Außerdem ist das Zinsniveau bei ca. 2,5 % für 10-Jahres-Anleihen, das entspricht ungefähr der Inflation, sodass solche Schulden zwar viel bewirken, aber inflationsbereinigt dem Bürger und dem Staat (fast) nichts kosten.
Institutionen wie die Europäische Investitionsbank (EIB) und der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) müssen eine aktivere Rolle in der Finanzierung von Verteidigungs- und Technologieprojekten übernehmen. Gleichzeitig brauchen wir öffentlich-private Partnerschaften und einen europäischen Infrastruktur-Anleihenmarkt, um langfristige Investitionen anzuziehen, welche staatlich aufgenommene Mittel für die Public Procurement Aufträg mit privatem Geld multiplizieren können.
Was ist Ihre Botschaft an die europäischen Entscheidungsträger nach der Veröffentlichung der Münchner Erklärung?
Die Zeit für kleine Schritte ist vorbei. Europa muss entschlossen handeln, um seine Sicherheit, Wirtschaftskraft und finanzielle Unabhängigkeit zu sichern. Und was wir hier investieren, kommt mehrfach wieder zurück, und kommt der nächsten Generation sowohl in Form von Freiheit als auch in Form von wirtschaftlichem Erfolg und Wohlstand zugute. Das Geld ist, nachdem man es ausgegeben hat, noch da, denn es existiert sowohl in der damit aufgebauten strategischen Infrastruktur als auch in Staatsanleihen/Eurobonds, die von Generation zu Generation weiter vererbt werden können und nach aller Wahrscheinlichkeit einen besseren Werterhalt zeigen werden, als amerikanische Staatsanleihen in einem $, dessen Kaufkraft seinem Wechselkurs nicht entspricht.
Die Münchner Erklärung 2025 zeigt klare Maßnahmen auf – jetzt liegt es an den Regierungen, Unternehmen und Institutionen, diese schnell und konsequent umzusetzen. Das Forum Alpbach ist bereit und motiviert hier auch weiterhin Politik und Behörden bei der Umsetzung zu unterstützen. Unsere Zukunft hängt davon ab, ob wir unsere Kräfte bündeln, in unsere eigene Stärke investieren und Innovationen gezielt vorantreiben.
Herr Schoeller, vielen Dank für das Gespräch.